Belletristik Besprechungen

Leonhard Frank – Die Jünger Jesu

8. August 2013

 

JuengerJesu

Würzburg nach dem zweiten Weltkrieg, kurz nach der verheerenden Bombennacht. Bittere Armut herrscht in der Stadt, kaum ein Haus steht noch, die Überlebenden hausen in Kellerlöchern und Verschlägen. Es herrscht Mangel an allem, nicht nur Nahrungsmittel und Kleidung fehlen, es gibt nicht einmal Nähnadeln. Die meisten Menschen haben alles verloren. Nur wenige hatten Glück und leben im Vergleich zum Rest im Überfluss. Ein Umstand, den die Jünger Jesu ändern wollen. Sie sind eine Gruppe Jungs, die von den „Reichen“ nehmen und den Armen geben. Reich ist, wer zwei Decken besitzt. Während andere ohne auskommen müssen. Die Jünger Jesu wollen den Besitz gerechter verteilen und führen genau Buch, wem sie was nahmen und wem sie was gaben. Natürlich kein ungefährliches Unterfangen, die wenigsten sind damit einverstanden, unfreiwillig ihr Hab und Gut zu teilen.

Aber nicht nur die Geschichte dieser zwölf Jungen wird hier erzählt. Da ist auch das Mädchen Johanna, das jetzt in einem Ziegenstall haust und sich in einen Amerikaner verliebt. Eine unmögliche Liebe zu dieser Zeit. Oder ihre jüdische Freundin Ruth, die mit ansehen musste, wie ihre Eltern auf dem Marktplatz zu Tode geprügelt wurden. Sie selbst kam erst ins KZ, dann in ein Bordell in Warschau. Jetzt kehrt sie nach Hause zurück und muss miterleben, dass der Mörder ihrer Familie noch immer frei herum läuft. Und Macht besitzt.

Denn auch nach dem Krieg waren die Nazis nicht vom Erdboden verschwunden. Sie trafen sich im Untergrund und pflegten ihr dreckiges Gedankengut. Noch immer gab es antisemitische Übergriffe, saßen ehemalige Nazis in wichtigen Ämtern, ließen es sich gut gehen und lebten ihre Überzeugung.

Eine Tatsache, die dem Autor nach diesem Buch viel Kritik einbrachte. Denn das wollte kurz nach dem Krieg, als dieser Roman erschien, niemand lesen. Die Wahrheit wollte niemand hören.

„Die Jünger Jesu“ beschreibt die furchtbare Nachkriegszeit anhand vieler einzelner Schicksale sehr eindringlich. Von der ersten Seite an kann man sich den Schilderungen kaum entziehen. So bedrückend die Atmosphäre des Buches ist, ein wenig Hoffnung schwingt aber doch immer mit. Nicht nur dank der Jungen, die sich nicht unterkriegen lassen und weiter für Gerechtigkeit kämpfen, auch wenn sie damit viel riskieren.

Ein Buch, das mich noch lange begleiten wird. Weil die Geschichten, die sich so oder so ähnlich tausendfach in Deutschland abspielten, mich tief berührt haben. Mein eigener Großvater hat diese Zeit erlebt. Für uns ist sie unvorstellbar. Bücher wie dieses rufen diese Zeit, die nicht vergessen werden sollte, wieder in Erinnerung.

Die Jünger Jesu – Leonhard Frank
265 Seiten, Königshausen & Neumann Verlag
, 8,00 €
Taschenbuch

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4 Kommentare

  • Antworten Elisabeth Stein-Salomon 9. August 2013 von 07:51

    Ich kann deinen Leseeindruck nur bestätigen. Ich finde es auch ziemlich raffiniert, wie Leonhard Frank den Leser schon im ersten Kapitel in die Geschichte reinzieht und wie er seine verschiedenen Handlungsstränge durchs ganze Buch durch spannend miteinander verknüpft. Sehr gut gefallen hat mir auch, wie stark man die Verbundenheit des Autors zur Landschaft seiner Kindheit in den knappen, aber bildhaften Naturbeschreibungen spürt. Vor allem wenn man bedenkt, dass er seine Heimatstadt zum Zeitpunkt der Niederschrift des Romans schon seit über dreizehn Jahren nicht mehr gesehen hatte. Über die im Roman angeschnittenen,vielfältigen Themen Entnazifizierung, Neonazismus, Selbstjustiz, Fraternisierung und soziale Ungleichheit werden wir in den nächsten Monaten ins Gespräch kommen können, denn “Würzburg liest ein Buch”.

  • Antworten Papiergeflüster » Würzburg liest… 21. August 2013 von 20:55

    […] Die Aktion “Eine Stadt liest ein Buch” kennt ihr sicher aus anderen Städten wie Frankfurt oder Stuttgart. Jetzt ist es auch in Würzburg so weit, eine ganze Stadt soll für ein Buch begeistert werden. Ein Buch, das mit Bedacht ausgewählt wurde. Es berichtet aus einer sehr schweren Zeit Würzburgs, kurz nachdem die Stadt in nur einer Bombennacht zum Großteil vernichtet wurde. Große Armut herrscht fast überall, eine Bande Jugendlicher will für Gerechtigkeit sorgen. Das will auch das jüdische Mädchen Ruth, die mit ansehen musste, wie ihre Eltern erschlagen wurden, bevor sie selbst in ein Bordell verschleppt wurde. Im Untergrund weiter schwelender Nationalsozialismus und die Liebe eines Mädchens zu einem Amerikaner sind ebenfalls in “Die Jünger Jesu”. Was sich nach schwerer Kost anhört, ist spannend und mit unglaublicher Atmosphäre geschrieben. Einmal angefangen, kann man sich kaum mehr von dem Buch trennen. Wer mehr wissen möchte, findet hier meine Besprechung dazu. […]

  • Antworten Andreas Arnold 29. Dezember 2013 von 12:48

    Das Buch ist tatsächlich beeindruckend und berührend. Ich las es, weil ich bei “Würzburg liest ein Buch” mitmachen will, aber es ist wirklich mehr als gelungen. Es ist sehr gut. Bis auf wenige Stellen, an denen der Autor zu stark bewertet, ist die Sprache sehr modern und lässt in wenigen Sätzen die Zeit nach dem Krieg, nach der Zerstörung der Stadt, lebendig werden. Der Titel mag für einen nicht-religiösen Menschen abschreckend sein, aber es lohnt sich, dieses Buch zu lesen. Es ist stark und bedeutend.

  • Antworten Henri Bernier 5. Juli 2016 von 19:04

    Ich habe dieses Buch spannend gefunden. Auch das Problem der Gerechtigkeit wird in diesem Buch angeschnitten : Die jüdische Heimkehrerin Ruth bringt den Mörder ihrer Eltern, der nicht nur ungestraft geblieben war, sonder auch dazu ein betuchter, angesehener Bürger der Stadt Würzburg war. War es richtig, diesen Mann zu ermorden ? Während ihres Prozesses prallen zwei Ansichten zusammen : die einen sind der Meinung, sie solle bestraft werden, Selbstjustiz dürfe man in einem Rechtstaat nicht dulden. Andere hingegen vertreten die Auffassung, Krieg und Naziherrschaft hätten den Rechtstaat aus den Angeln gehoben, also dürfe Ruth überhaupt nicht abgeurteilt werden.

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